Wer sind nun Schlampen mit Moral? Wir. Und viele, viele andere. Vielleicht sind Sie auch eine. Wenn Sie von Freiheit träumen, wenn Sie von Intimität träumen, die gleichzeitig leidenschaftlich und tiefgehend ist, wenn Sie davon träumen, von Freundschaft und Zuneigung umgeben zu sein, in einer angenehm erotischen Atmo-sphäre, wenn Sie davon träumen, Ihren Gelüsten zu folgen und zu schauen, wo sie Sie hinbringen, dann haben Sie den ersten Schritt bereits getan.

Warum wir diesen Titel wählten

Der Titel sollte sofort signalisieren, dass einige Ausdrücke bei uns eine andere Be-deutung haben, als Sie es gewohnt sind. Denn wer bezeichnet sich schon gerne als Schlampe? Und was soll bitte schön eine Schlampe mit Moral sein?

Im größten Teil der Welt ist der Ausdruck »Schlampe« hochgradig beleidigend, ein Schimpfwort für Frauen mit unersättlichem, wahllosem und schändlichem Se-xualtrieb. Interessanterweise bezeichnet man Männer mit ebensolchem Sexualtrieb anerkennend bis neidvoll als »Hengste«. Einen Mann nennen wir moralisch, wenn er sich ehrlich verhält, aufrichtig, prinzipientreu. Und die Moral einer Frau soll davon abhängen, mit wem sie ins Bett geht und unter welchen Umständen? Das finden wir bescheuert.

Deswegen reklamieren wir das Wort »Schlampe« stolz für uns. Wir hören An-erkennung und sogar Zuneigung daraus. Für uns ist eine Schlampe eine Person be-liebigen Geschlechts, die ihre Sexualität nach dem radikalen Motto auslebt, dass Sex schön ist und Genuss guttut. Schlampen wählen frei, ob sie es sich selber machen oder mit der ganzen fünften Flotte kuscheln. Schlampen können hetero-, homo- oder bisexuell sein, radikale Aktivisten oder brave Vorstadtbürger.

Als stolze Schlampen glauben wir, dass Sex und sexuelle Liebe fundamentale Kräfte des Guten sind, mit dem Potenzial, intime Bande zu festigen, das Leben zu verbessern, Menschen spirituelle Wege zu öffnen und sogar die Welt zu verbessern. Außerdem glauben wir, dass jede einvernehmliche sexuelle Beziehung dieses Potenzial hat und dass jeder erotische Pfad, bewusst gewählt und achtsam beschritten, eine positive, kreative Kraft im Leben von Menschen und ihren Gemeinschaften sein kann.

Schlampen teilen ihre Sexualität, wie Wohltäter ihr Geld teilen: weil sie jede Menge zu geben haben, weil das Teilen sie glücklich macht, weil sie die Welt so zu einem schöneren Ort machen. Schlampen stellen oft fest: Je mehr Liebe und Lust sie geben, desto mehr bekommen sie zurück. Ein Wunder wie auf der Hochzeit von Kanaan. Stellen Sie sich vor, im sexuellen Schlaraffenland zu leben!

Über Sie

Vielleicht träumen Sie davon, mehrere langfristige sexuelle, intime Beziehungen zu führen. Oder Sie träumen von vielen Freundschaften, zu denen Sex gehören kann, aber nicht unbedingt muss. Vielleicht haben Sie kein Interesse an Genitalverkehr, wünschen sich aber trotzdem eine liebevolle Partnerschaft – oder auch zwei oder drei. Vielleicht möchten Sie eine monogame Beziehung – aber eine, die Sie zusam-men mit Ihrem Partner nach Ihren eigenen Wünschen gestalten und nicht nach den Vorgaben der Gesellschaft. Vielleicht wollen Sie Single sein und Kontakte knüpfen, wo und wie es Ihnen passt, ohne auf Ihre Unabhängigkeit zu verzichten. Oder Sie möchten in einer Paarbeziehung leben, in der man sein Bett ab und zu mit einer für beide attraktiven dritten Person teilt oder sich hin und wieder eine Nacht lang »Urlaub« von der Monogamie nimmt. Vielleicht träumen Sie von Sex zu dritt oder zu viert oder von Orgien. Oder Sie lieben die Einsamkeit und suchen nach einer Möglichkeit, sich Ihre Bedürfnisse ganz allein (mit gelegentlicher Hilfe von einem Freund oder Liebhaber) zu erfüllen.

Vielleicht möchten Sie aber auch verschiedene Wege erforschen – immer wieder mal etwas Neues ausprobieren, um herauszufinden, wie sich das anfühlt und wie viele verschiedene Beziehungsformen Sie in Ihr spannendes, aktives Leben einbauen können.

All diese (und 100 andere) Möglichkeiten sind legitime Wege, eine Schlampe mit Moral zu sein. Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie feststellen, dass manche un-serer Ideen ganz gut zu dem von Ihnen gewählten Lebensstil passen und andere viel-leicht gar nicht. Lassen Sie sich einfach von den Anregungen inspirieren, die Ihnen gefallen, und ignorieren Sie den Rest. Solange Sie und die Menschen, die Ihnen am Herzen liegen, damit einverstanden sind und dabei innerlich wachsen – und solange Sie alle gut auf sich und Ihre Mitmenschen aufpassen –, machen Sie als Schlampe mit Moral nichts falsch. Also lassen Sie sich durch die Meinung anderer Menschen (auch durch unsere) nicht von Ihrem Weg abbringen!

Die Autorinnen

Wir zwei sind Paradebeispiele dafür, was »sexuelle Vielfalt« wirklich bedeutet. Dossie führt in San Francisco eine therapeutische Praxis, die sich auf Beziehun-gen und alternative Sexualität spezialisiert hat. Sie lebt seit 25 Jahren als Lesbe, weiß aber ihre zuvor gemachten hetero- und bisexuellen Erfahrungen zu schätzen. Sie war schon immer eine Schlampe. Seit 1969, als ihre Tochter geboren wurde, lebt sie in offenen Beziehungen. Ihren ersten Workshop zum Thema »Umgang mit Eifersucht« gab sie 1973. Etwa die Hälfte ihres Erwachsenenlebens verbrachte sie als, na ja, Single, im Schoß einer Familie von Mitbewohnern, Geliebten und anderen Vertrauten. Aktuell lebt sie mit ihrer Partnerin in den Bergen nördlich von San Francisco.

Janet lebte während ihrer Unizeit als Schlampe und versuchte sich danach länger als ein Jahrzehnt in einer traditionellen heterosexuellen Ehe. Seit dem Ende dieser Ehe betrachtet sie Monogamie nicht mehr als Option für sich. Die meisten Menschen würden sie wohl als bisexuell bezeichnen, aber sie empfindet sich mal als Mann, mal als Frau und kapiert irgendwie nicht, wie das mit der sexuellen Orientierung dann klappen soll. Sie ist mit einem Öko-Typen verheiratet, dessen Geschlecht ebenso flexibel ist wie ihres. Das ist jetzt weniger kompliziert, als es klingt. Sie verdient ihr Geld als Autorin, Verlegerin und Dozentin.

In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten waren wir einander Liebhaberinnen, teure Freundinnen, Arbeitskolleginnen und Mitverschwörerinnen. All die Zeit lebten wir in getrennten Haushalten mit eigenen Partnern und verfolgten auch unsere eigenen Projekte. Wir beide sind Mütter erwachsener Kinder, wir sind beide aktiv in der BDSM/Leder/Fetisch-Szene, wir sind beide Schriftstellerinnen (Dossie schreibt Poesie, Janet Essays). Wir empfinden uns als hervorragende Beispiele dafür, was pas-sieren kann, wenn man nicht versucht, all seine Beziehungen nach dem monogamen Bis-der-Tod-uns-scheidet-Schema zu führen.

© 2020 des Titels »Schlampen mit Moral« von Dossie Easton und Janet W. Hardy (ISBN 978-3-7474-0189-7) by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH, München. Nähere Informationen unter: www.m-vg.de